Bei all meinen jüngsten Arbeiten thematisierte ich wiederholt die Natur, ihr unkontrollierbares Handeln und ihre Beeinflussung durch den Menschen. Dieses Phänomen wollte ich nun
im Rahmen des IDA Moduls ausweiten.
Schnell stiess ich während meiner Recherche auf Dieter Roth und sein Schokoladenplätzchenbild. Er platzierte Schokoladenplätzchen in einem verschlossenen Plastiksack. Der Zerfall beginnt. Es bildet sich Schimmel und andere Stoffe. Folglich sammelt er in dem Plastiksack die Spuren des Zerfalls.
Mario Reis, ein weiterer Künstler, dem ich bei meiner Recherche begegnete, legt bei seinen Naturaquarellen, Leinwände in Gewässer und lässt diese über längere Zeit an dem von ihm gewählten Ort. Das Wasser und die darin lebenden Organismen hinterlassen auch hier Spuren auf dem Medium.
Mit Christian Ratti fand ich meine letzte Inspirationsquelle. Er platzierte Papier an von ihm gewählte Stellen und sammelte die Spuren, der darüber gehenden Tiere. Es entsteht sein Werk Spurenvitrine.
Alle drei Künstler platzieren ein Medium und überlassen es schliesslich dem unkontrollier- baren Geschehen der Natur. Der Akt des Platzierens ist aber kontrolliert und vom Menschen ausgeführt.
Ausgehend von diesen drei Künstlerpositionen entwickelte ich ein KONZEPT für meine Arbeit. Ich werde die Methode von Christian Ratti aufgreifen. Dementsprechend werde ich Papier an von mir gewählte Orte platzieren.
Weiter werde ich auf anderen Blättern versuchen Zersetzungsprozesse einzufangen, indem auf den Blättern organisches Material, wie Tomaten oder Kresse Samen platziert werden. Diese werden daraufgelegt und fungieren teils als Stempel, welcher einen Langzeitabdruck hinterlässt und dann wieder entfernt wird. Bei anderen Blättern werden die Stempel Teil des eingefangenen Prozesses.
Folglich ist das Ziel meiner Arbeit, unkontrollierte Prozesse einzufangen und diese anschliessend zu dokumentieren.
Es entstanden insgesamt 16 einzelne Werke. Hier wird nur eine Auswahl gezeigt. In der Projektdokumentation sind alle Werke ersichtlich.
Fenster
Die ersten fünf Tage, nach dem Anbringen an der Aussenseite eines Fensters, war das Papier stark dem Regen ausgesetzt. Es bildeten sich Wellen im Papier und es ver- bog sich. Dannach geschah nicht viel mehr. Es trocknete und blieb dadurch in seiner gebogenen Form. Das Papier scheint weniger weiss als zuvor, dies kann aber auch eine optische Täuschung durch die wellige Struktur des Papiers sein.
Kompost
Hier klebte ich das Papier über zwei Seitenwände meines Kompostkübels. Das Papier berührte so die Kompostabfälle. Beim nächsten Kompostleeren wollte ich das Blatt entfernen. Das Papier war jedoch so fragil, dass ich es erst trocknen lassen musste, bevor ich es weiter berühren konnte. Es bildeten sich Spuren von zersetzten Früchten und Gemüse, Schimmel und es krochen paar Maden über das Papier.
Papyrus
Platziert in einem Papyrus-Topf, einer Pflanze, die immer in sehr nasser Erde stehen muss, geschah einiges mit diesem Papier. Das Papier wurde nur mit der einen Längsseite ca. 5-8cm eingetaucht. Dort erhielt es die typischen Wellen von feuchtem Papier. Das Papier begann sich aufzulösen und verlor einige Teile. Die Erde färbte das Papier in diesem Bereich auch dunkler. Nach etwa vier Tagen entschloss meine Katze das Papier aus dem Topf zu ziehen und spielte damit. Anschliessend fand ich es gefaltet und mit nasser Erde bespritzt neben dem Topf liegend. Ich beendete bei diesem Blatt das Sammeln von Spuren nach diesem Vorfall.
Blumentopf
Das Papier wurde zwischen Blumentopf und Untersetzer platziert so, dass es Kontakt mit dem Giesswasser hat. Ich liess das Papier an Ort und Stelle bis Ende der Projektdurchführung, da ich den Sammlungsprozess nicht unterbrechen wollte. Nach 10 Tagen hat sich das Papier der Form des Untersetzers angepasst. Es hat blau-graue Spuren auf dem ganzen Blatt und einen schimmligen Geruch. Ich denke die Spuren sind Schimmel. Über dem ganzen Blatt sind Erdkrümel und undefinierte fadenartige Strukturen. Auch bildeten sich ein paar Löcher und Wasserflecken mit braunem Rand.
Kresse
Auf einem befeuchteten Blatt liess ich Kresse Samen spriessen. Ich befeuchtete sie so lange bis sie ausgewachsen waren. Kurz nach dem Keimen nahm meine Katze Einfluss auf das Geschehen. Sie entschied sich das Blatt auseinanderzureissen und zu zerknittern. Ich sammelte anschliessend die einzelnen Stücke wieder ein und liess den Keimungsprozess weiterschreiten, bis schliesslich die Kresse ausgewachsen war. Dann liess ich sie vertrocknen. Während dem Prozess haben sich die Papierstücke gewellt und leicht bräunliche Verfärbungen erhalten. Durch den Einfluss der Katze haben sich auch Löcher in den Papierfetzen gebildet.
Nordpol
Ich arbeite beim Nordpol Luzern, einer Sommerbuvette am Reusszopf zwischen Luzern und Emmenbrücke. Es handelt sich dabei um eine Bar, die Getränke, Paninis, Pommes und andere Snacks verkauft.
Während meiner zweijährigen Arbeit dort, habe ich in Erfahrung gebracht, wie dreckig der Boden jeweils an Schichtende sein kann. Wir gehen bei der Arbeit ein und aus, bringen also vom Kiesboden um die Buvette herum Dreck rein. Dazu kommen noch Sachen die eventuell fallengelassen werden.
Ich wollte also genau so einen Schichtablauf dokumentieren und unsere Spuren der Arbeit sammeln.
An einer Schicht an einem Samstagabend von 17:00-23:00 habe ich das 300x100 cm grosse Druckerausschusspapier auf dem Boden platziert. Anfänglich taten sich ich und meine Arbeitskollegin Eileen schwer mit dem neuen Untergrund. Es war äusserst ungewohnt sich auf Papier fortzubewegen. Da wir uns anfänglich sehr vorsichtig darauf bewegten generierten wir auch nur wenige Spuren, doch umso sicherer wir wurden desto mehr Spuren gab es. Schnell waren die ersten Schuhprofilabdrücke, Risse und Falten sichtbar. Bald kamen auch Wasserflecken dazu. Öl der Fritteuse spritzte über den Boden und hinterliess Ölflecken. Spannend war, dass sich der holzige Untergrund, wie bei einer Frottage abzeichnete. Durch die Wasserflecken löste sich das dünne Papier an einigen Stellen leicht auf und riss noch besser, so entstanden Löcher.